5.0 out of 5 stars
Hampson`s fulminanter "Nadelstreifen"- Scarpia
Reviewed in Germany on 19 October 2011
Eine glänzende Robert Carsen Inszenierung, die mit auf Fragmente begrenzten, assoziativen Bühnenbildern arbeitet und wohl eher den auch moderneren Inszenierungen aufgeschlossenen Seher anspricht. Carsen porträtiert hier eine Tosca, die die Welt des Theaters als ausschließlichen Bezugsrahmen zur Welt hat, zwischen Bühnenexistenz und realem Leben nicht unterscheidet, aber stets aufrichtig ist. Der Schluß, der offenkundig in einer veröffentlichten Rezension nicht verstanden wurde, ergibt sich schlüssig aus dem Konzept. Mit dem Sprung von der Engelsburg zollt Tosca Tribut an das reale Leben, welches sie aber nur als Theater erlebt. Folglich erscheint sie nach dem Sprung wieder auf der Bühne des Theaters, nimmt Applaus und Blumen vom Publikum entgegen. Man sollte das Beiheft lesen, um das Interpretationskonzept zu verstehen.
Singschauspielerisch sind alle Schlüsselrollen glänzend besetzt. Jonas Kaufmann singt einen subtil und differenziert gezeichneten Cavaradossi mit elementar involvierender Singstrahlattacke. Emily Magee überzeugt als Tosca mit kristallklarem, blühendem Sopran und schauspielerischer Substanz. Thomas Hampson zeichnet einen aalglatten, sadistischen "Brutalo" in Nadelstreifen. Eine andere Facette im Vergleich zum brutal, feisten, instinktgetriebenen Scarpia Juuhu Uusitalos, der an die Ausstrahlung Mussolinis erinnert und dem dämonischen Scarpia Bryn Terfels, der mit jeder verhaltenen Geste wie ein entzündbarer "Brandsatz" wirkt. Thomas Hampson, wie immer in der Rollengestaltung, eine Mischung aus Intellekt und ausagierter Emotion, liefert eine Glanzleistung.
Paolo Carignani dirigiert substanzvoll, farbstark.
Insgesamt eine Aufführung, die wohl eher den anpricht,der moderneren Konzepten aufgeschlossen ist. Von der sängerischen Leistung eine zwingende Aufführung.
Anmerkungen:
Tosca ist ein Stoff, der in seiner Kernsubstanz zeitlos ist und infolgedessen breite Ansätze optischer Darstellung und charakteriologischer Akzentuierung aufweist. Carsen`s Konzept ist absolut schlüssig durchdacht. Der Inszenierende sieht sich nicht als reiner Vollzugs-Bürokrat der Tradition. Jede Oper hat ihre Rezeptionsgeschichte.
Fixierte Traditionalisten gehen fast immer von einer allgemein, einzig gültigen Form einer optischen Gestaltung aus, mit sehr wenig Interpretationspielraum. Angeblich aus Respekt vor dem Komponisten, der das angeblich so gewollt habe. Das ist reine Fiktion. Es gibt kein Dokument eines Komponisten, worin er eine Gestaltung in einzig gültiger,optischer Umsetzung quasi "auf Ewigkeit" verfügt. Eine im übrigen vollkommen lebensfremde Vorstellung, die auch dem lebendigen Wesen von Kunst widerprechen würde. In der Realität stellt sich oft heraus (Erfahrungswissen), daß es eher darum geht, die eigene, kleine Wahrnehmungswelt in Takt zu lassen. Oft, nicht immer, eine Mischung aus fundamtentaler Unkenntnis und begrenzt, tendenziell gefühlsüberladener Wahrnehmung. Wenn Künstler generell auf dieser Weltwahrnehmungsebene angesiedet gewesen wären, hätte es keine Werke gegebenen, denen jetzt gehuldigt wird. Alles war einmal Bruch mit der Tradition, wobei dies an sich noch kein Wert ist. Deshalb ist es auch legitim jedes Regie-Theater Konzept kritisch zu hinterfragen und in seriöser Form schlecht zu bewerten. Aber nur aus der Spannung gebirt sich Neues, schafft sich Kunst stetig neu.
Zu unterscheiden ist diesbezüglich zwischen "fixierten Traditionalisten" und solchen, die traditionelle Konzepte lieber sehen. Das erste ist Ideologie, das zweite Geschmacksache. Nur aus der rein ideolgischen Wahrnehmung wird auf alles "geschossen", was sich nicht sofort und möglichst simpel erschließt. Dabei könnte mit ein bißchen mehr Hintergrundwissen vieles leichter zu verstehen sein.
11 people found this helpful